Ein Portaitfoto von einem Mann und einer Frau
Bildrechte: MDR/Tanja Schnitzler, picture alliance/dpa | Heiko Rebsch

Unter der Lupe Ein Ego allein ist noch keine Partei

22. Oktober 2023, 12:00 Uhr

Sahra Wagenknecht will eine eigene Partei gründen. Das kommt weder für die Linke noch ihre Wähler überraschend. Wird doch schon seit Wochen und Monaten wild darüber spekuliert – wann, wie und wo Wagenknecht die Reißleine zieht. Jetzt, wo die Katze aus dem Sack ist, drängen sich andere Fragen auf. MDR-AKTUELL-Hauptstadtkorrespondent Torben Lehning fragt: Wofür kann eine Partei stehen, die den Namen ihrer Gründerin trägt?

Die Vorstellung des Vereins Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) am Montag gilt als ein erster Schritt. Ein folgerichtiger Schritt, nach einer schier endlos andauernden Episode der Entfremdung mit ihrer Partei DIE LINKE. All jene, die von der populären Politikerin und Autorin als "Lifestyle-Linke" abgetan wurden, stehen jetzt vor den Trümmern dessen, was Wagenknecht von der Linken übriggelassen hat.

Alle Versuche, Wagenknecht in die Parteiarbeit einzubinden, scheiterten. Parteibeschlüsse stellten für Wagenknecht häufig nur eine Reibungsfläche dar, die sie gekonnt nutzte, um sich persönlich zu profilieren.

Die Seufzer im Karl-Liebknecht-Haus

Wagenknecht wird ihre Getreuen mitnehmen und gehen - die Linke also voraussichtlich ihren Fraktionsstatus im Bundestag verlieren, Rederechte und Mitarbeiter einbüßen. Die Partei DIE LINKE., wie wir sie kennen, steht vor einer Zäsur, die nichts Gutes erahnen lässt.

So verwundert es doch, dass aus dem Karl-Liebknecht-Haus am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin vor allem eines zu vernehmen ist: ein lautes erleichtertes Seufzen. So überwiegt die Hoffnung der Parteispitze, bald wieder Fragen zum politischen Tagesgeschehen beantworten zu können und nicht mehr zu Wagenknechts Launen. Hauptsache Gewissheit.

Während die Linke scheinbar vor der politischen Bedeutungslosigkeit steht, fängt der politische Kampf für eine Wagenknecht-Partei erst an.

Das Problem mit der Prophezeiung

Ihre Kritiker wünschen ihr alles erdenklich Schlechte und glauben nicht, dass Wagenknecht das Zeug dazu hat, eine neue Partei zum Erfolg zu führen. Unterstützer und Trittbrettfahrer prophezeien der streitbaren Thüringerin aber bereits vor der Parteigründung eine goldene Zukunft. Manche, weil sie an Wagenknechts Inhalte glauben, andere, weil sie hoffen, die neue Parteichefin könnte in Anbetracht der bevorstehenden Landtagswahlen im Osten die Stimmanteile für die in Teilen rechtsextreme AfD dezimieren.

Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov sagt Wagenknecht in ostdeutschen Bundesländern gar ein Wählerpotential von bis zu 29 Prozent voraus. Das klingt für manche fast zu schön um wahr zu sein. Tatsächlich sprechen aber viele Argumente gegen einen Erfolg der Wagenknecht-Partei.

Die Gründerin in spe bezeichnet sich selbst als "links-konservativ" und erklärt, eine wählbare Alternative für "soziale Gerechtigkeit" und "wirtschaftliche Vernunft" aufbauen zu wollen. Aus ihren zahlreichen Talkshow-Auftritten wissen wir, dass sich Wagenknecht gegen das Gendern ausspricht, die Klima- und Migrationspolitik der Bundesregierung scharf kritisiert, Waffenlieferungen an die Ukraine unterbinden will und russlandfreundliche Positionen vertritt. Zugegebenermaßen sind das Positionen, die bei vielen Wählern – gerade im Osten – gut ankommen.

Die weniger extreme Alternative

Schnell fällt jedoch auf, dass es bereits eine Partei gibt, die diese Schwerpunkte setzt. Die Alternative für Deutschland steht für all das, was Wagenknecht sein will. Zwar verkündet diese, der AfD Stimmen abluchsen zu wollen – mit einer Kopie ihrer Inhalte wird das aber kaum gelingen. Wagenknecht muss eigene Akzente setzen, wenn sie punkten will. Die Idee Wagenknechts, eine weniger extreme Alternative zur extremen Alternative (AfD) darzustellen, klingt wenig erfolgsversprechend. Wer extrem wählen will, wählt das Original.

Bliebe noch die Hoffnung, dass sich einige Genossinnen und Genossen – so wie Wagenknecht selbst – lieber als links-konservativ verstanden wissen wollen. Und von der Partei Die Linke ins Wagenknecht Lager wechseln. Hier stehen die Chancen Wagenknechts besser.

Das Problem mit dem Fachkräftemangel

Ein Ego allein ergibt noch keine Partei. Wagenknecht braucht Fachpersonal. Alte Weggefährten, wie Ex-Fraktionschefin Mohamed Ali oder der Bundestagsabgeordnete Christian Leye, kennen das Geschäft, stehen aber kaum für einen glaubhaften Neuanfang. Oder kennen sie Sabine Zimmermann? Die Politikerin saß bis 2021 für die Linke im Bundestag und soll jetzt MDR-Informationen zufolge den sächsischen Landesverband der Wagenknecht-Partei aufbauen. Nach frischem Wind klingt das nicht.

Super-Reinfall im Super-Wahljahr?

Wagenknecht kann nicht in Thüringen, Sachsen und Brandenburg als Spitzenkandidatin antreten. Sie wird prominente Mitstreiter brauchen, die gut in der Region vernetzt sind. Weiter muss sie diesen neuen Führungspolitikern, die erst noch gefunden werden müssen, Macht und Autonomie zugestehen.

Wagenknecht kann vieles, Macht abzugeben, gehört dem Vernehmen nach nicht dazu. Ebenso wenig kann sie sich zerteilen und an allen Fronten Wahlkampf führen. Damit es ihrem neuen Projekt nicht so ergeht wie ihrer gescheiterten Initiative "Aufstehen" (gegründet 2018/beendet 2019), muss Wagenknecht für eine große Überraschung sorgen.

Schafft sie das nicht, wird die Parteiausgründung scheitern. Am Ende dürfte es Wagenknecht deutlich leichter gefallen sein, eine Partei kaputtzumachen als eine neue Partei zu gründen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 20. Oktober 2023 | 19:30 Uhr

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