Ein Mann mit Akkordeon singt auf einer Bühne in ein Mikrofon. 4 min
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Vor ein paar Monaten trat der Sänger Wenzel im Leipziger Werk 2 auf. Seitdem tobt eine Debatte über Kunstfreiheit und Zensur. MDR KULTUR hat die Ereignisse recherchiert und mit beiden Beteiligten gesprochen.

MDR KULTUR - Das Radio Fr 10.05.2024 08:10Uhr 04:28 min

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Debatte Öffentlicher Streit zwischen Sänger Wenzel und Leipziger "Werk 2"

10. Mai 2024, 04:01 Uhr

Ein Konzert des Sängers Wenzel im Leipziger Werk 2 hat einen Streit zwischen dem Künstler und den Veranstaltern ausgelöst. Der Vorwurf des Werk 2: Aussagen von Wenzel seien herabsetzend und verletzend gewesen. Wenzel reagiert empört und wirft dem Werk 2 in einem offenen Brief "Auftrittsverbot", "Gesinnungsstalinismus" und "Zensur" vor. MDR KULTUR hat die Ereignisse recherchiert und mit beiden Seiten darüber gesprochen.

Es ist der 31. Januar 2024. Wenzel spielt ein Konzert im Werk 2 in Leipzig. Im Gespräch mit MDR KULTUR sagt der Künstler zu dem Abend, es "ist gar nichts anderes passiert als das, was immer passiert ist.“ Doch die Veranstalter vom Werk 2 um Geschäftsführerin Katrin Gruel nehmen die Situation anders wahr und werfen ihm vor, verschiedene gesellschaftliche Gruppen marginalisiert zu haben. Konkret heißt es dazu vom Werk 2 in einer E-Mail vom 10. April 2024 an das Management von Wenzel, die MDR KULTUR in Auszügen vorliegt:

"Zum Beispiel wurde sich mehrmals über sensiblen Sprachgebrauch amüsiert (Gendern, die Verwendung von rassistischen Wörtern und Sprachmustern zu überdenken), über Personen die sich auf Grund der Benutzung des N-Wortes angeblich krankschreiben lassen, über Triggerwarnungen, über die Gefahren der Corona Pandemie und über non-binäre Personen." Zitat aus der E-Mail des Werk 2 an Wenzels Management

Blick auf eine Einfahrt mit Plakaten und einer großen Tafel, die Veranstaltungen ankündigt; darunter steht "Werk 2".
Das Werk 2 – Kulturfabrik Leipzig e.V. ist ein soziokulturelles Zentrum im Stadtteil Connewitz, das auf einem ehemaligen Betriebsgelände entstanden ist. Bildrechte: EHL Media

Die Haltung des Werk 2

Schon während des Konzerts hätten die Veranstalter versucht über Wenzels Management mit dem Künstler ins Gespräch zu kommen. Das sei jedoch abgelehnt worden, so das Werk 2. Daraufhin nehmen die Veranstalter im Nachgang des Konzerts erneut Kontakt mit dem Management von Wenzel auf. In der E-Mail heißt es:

"Wir würden gerne verstehen, weshalb, gerade im Vergleich zu den letzten beiden Konzerten, es diesmal dazu kam, dass eine solche Häufung herabsetzender und verletzender Wortbeiträge stattfand. Zum anderen müssen wir deutlich machen, dass die getroffenen Aussagen und vermeintlichen Scherze unserem Selbstverständnis als Haus und soziokulturellem Zentrum konträr entgegenstehen und für uns trotz allem Verständnis von Kunstfreiheit nicht akzeptabel sind." Zitat aus der E-Mail des Werk 2 an Wenzels Management

Die E-Mail des Werk 2 endet mit einem Gesprächsangebot: "Selbstverständlich stehen wir einem Gespräch über die Vorfälle und unsere Haltung offen gegenüber."

Die Reaktion von Wenzel

Wenzel reagiert auf die E-Mail des Werk 2 Ende April mit einem offenen Brief, der schließlich Anfang Mai veröffentlicht wird. In dem Brief wirft Wenzel dem Werk 2 vor, einen bereits für Dezember geplanten Auftritt zu untersagen, was er als "Auftrittsverbot" wertet.

Ein Mann mit halblangen Haaren und Brille steht auf einer Bühne vor einem Mikrophon und spielt Gitarre.
Hans-Eckardt Wenzel alias Wenzel tritt als Musiker und Komponist, Schriftsteller, Regisseur und Schauspieler auf. Bildrechte: IMAGO / VIADATA

"Nach meinem letzten Konzert bei Euch habt Ihr beschlossen, einen weiteren Auftritt von mir zu untersagen. Im Klartext: ein Auftrittsverbot, weil (ich zitiere aus Eurem Schreiben) die getroffenen Aussagen und vermeintlichen Scherze unserem (also Eurem) Selbstverständnis als Haus und soziokulturellem Zentrum konträr entgegenstehen und für uns (also für Euch) trotz allem Verständnis von Kunstfreiheit nicht akzeptabel sind. Und da haben wir es auch schon: Eure Absage wäre keine Zensur, noch widerspreche sie der Kunstfreiheit. Mit diesen Taschenspielertricks konnte ich schon in der DDR meine Erfahrungen sammeln. Auch dort gab es keine offizielle Zensur, aber besorgte Bürger, die meine Auftritte zu verhindern wussten." Zitat aus dem offenen Brief von Wenzel

Laut Katrin Gruel sollte mit der E-Mail vom Werk 2 nie eine Absage oder ein Verbot zukünftiger Auftritte erfolgen. Vielmehr wollte das Werk 2 das Gespräch zu Wenzel suchen. Sie sei enttäuscht gewesen, da sie gehofft habe, in einen Austausch zu gehen. "Es darf ja jeder seine Meinung haben und darf die auch äußern. Aber ich finde halt diese öffentliche Reaktion ist so einseitig und ich will nicht sagen kindisch. Aber sie hat für mich ein bisschen was Bockiges", so Gruel.

Eine Frau mit roten Haaren und Brille steht vor einer Wand mit bunten Mosaiksteinen und lacht in die Kamera.
Eventmanagerin Katrin Gruel vertritt seit mehr als 13 Jahren als Geschäftsführerin die Interessen des Leipziger Werk 2. Bildrechte: Fabian Heublein

Zwei Weltsichten prallen aufeinander

Was deutlich wird an der Auseinandersetzung von Werk 2 und Wenzel, ist, dass hier zwei Weltsichten aufeinanderprallen. Eine der umstrittenen Passagen des Auftrittes schildert Wenzel im Gespräch mit MDR KULTUR so:

"Ein Freund von mir ist Englischlehrer an einem Gymnasium in Berlin, und er hat im Englischunterricht die Rede von Martin Luther King durchgenommen, "I have a dream". Da gibt es zweimal die Form 'we are the Negros' und zwei Mädchen aus der Klasse haben sich sozusagen überfordert gefühlt durch die Worte und sich krankgemeldet und sind nach Hause gegangen. Und der Vorwurf an den Lehrer war, dass er eine Triggerwarnung vorher hätte geben müssen. Das ist die Form. Diese Sachen habe ich sozusagen dort umspielt, mit anderen Formen auch. Und das ist das, was ihnen nicht gefallen hat." Wenzel im Gespräch mit MDR KULTUR

(Anmerkung der Redaktion: Die Formulierung "we are the Negros" ist kein wortwörtliches Zitat aus der Rede von Martin Luther King.)

Die Geschäftsführerin des Werk 2, Katrin Gruel, sieht das anders. Sie sagte MDR KULTUR, dass dieses "Umspielen“ von Anwesenden vor Ort als herabsetzend empfunden wurde, "dass es albern wäre, wenn sich People of Color, nachdem das N-Wort benutzt wurde, krankschreiben lassen."

Für Wenzel ist diese Wahrnehmung der Verantwortlichen vom Werk 2 "gesinnungsethischer Darwinismus", sagte er im Interview mit MDR KULTUR.  

Seit gut einer Woche wird der Streit zwischen dem Werk 2 und dem Musiker Wenzel öffentlich ausgetragen – vor allem in den sozialen Medien. Eine Einigung ist bislang nicht in Sicht.

Quelle: MDR KULTUR (Ole Steffen, Saskia Affolter), Werk 2, Wenzel

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Kultur am Morgen | 10. Mai 2024 | 08:10 Uhr

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