Illegale Suche Bernsteinrausch an der polnischen Ostseeküste
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15. Mai 2021, 05:00 Uhr
An der polnischen Ostseeküste, nahe der Stadt Elbląg, spielen sich dieser Tage Szenen ab, wie man sie aus Wild-West-Filmen kennt. Dutzende Menschen waten im knöcheltiefen Wasser, auf der Suche nach gelben, glänzenden Nuggets, die sie reich machen könnten.
Doch anders als in Wildwest, ist an der polnischen Ostsee kein Goldrausch ausgebrochen, sondern ein Bernsteinfieber. Deshalb sind die Glücksritter dort statt mit Goldwaschpfannen mit engmaschigen Fischernetzen ausgerüstet. Sie werfen sie immer dann aus, wenn ein dickes Rohr auf der Baustelle des neuen Schifffahrtskanals Aushub vom Meeresgrund ausspuckt.
Die Baustelle gehört zu einem Vorzeigeprojekt, das den polnischen Hafen Elbląg von Russland unabhängig machen soll. Denn Elbląg hat ein Problem – es liegt nicht direkt an der Ostsee, sondern am Frischen Haff, also einer Lagune, die vom eigentlichen Meer durch eine Landzunge getrennt wird. Das Haff gehört etwa hälftig zu Polen und Russland. Das einzige "Loch" in der Landzunge liegt auf russischer Seite, gut 50 Kilometer nordöstlich von Elbląg. Für die nationalkonservative PiS-Regierung war das ein unhaltbarer Zustand, und so begann sie 2019 mit dem Bau eines Kanals, der eine Verbindung zur Ostsee auf polnischem Territorium schaffen soll – so wird die Fahrt durch russische Hoheitsgewässer künftig nicht mehr nötig sein.
Damit auch größere Schiffe diese Verbindung nutzen können, wird derzeit eine tiefe Fahrrinne ins seichte Haff gegraben. Und das ruft die Bernsteinsucher auf den Plan. Denn schnell hat sich in der Gegend die Kunde verbreitet, dass im Aushub vom Haffgrund Bernsteine stecken, darunter große Stücke mit einem Gewicht von mehr als 100 Gramm. Solche Klunker sind bei Juwelieren besonders gefragt und entsprechend teuer – sie bringen dem Finder einige hundert Euro. Für kleinere Steine bekommt man weniger: zwischen 65 und 150 Euro pro 100 Gramm.
Dennoch scheint das für viele ein lohnendes Geschäft zu sein, und das, obwohl das Treiben illegal ist. Seit Tagen strömen Bernsteinsucher zur Kanal-Baustelle. Sie legen sich auf die Lauer und warten, bis das große Rohr den Sand vom Lagunengrund ausspuckt. Viele der Glücksritter arbeiten sogar nachts. Damit ihnen keiner der wertvollen Steine entgeht, haben sie UV-Lampen dabei – denn Bernstein leuchtet im UV-Licht. Die Suche bei Tag und Nacht hat der lokale Fernsehsender Żuławy TV festgehalten.
Doch das gelbe "Gold" beflügelt nicht nur die Phantasie des kleinen Mannes. Dem Bernsteinrausch sind auch schon Politiker erlegen. Lange Zeit hieß es nämlich, ein Teil der Baukosten für den neuen Schifffahrtskanal werde durch die reichen Bernsteinvorkommen auf der Baustelle refinanziert. Der ehemalige Schifffahrtsminister Marek Gróbarczyk rechnete mit einer halben Tonne Bernstein mit einem Marktwert von 30 Millionen Euro. Der PiS-Politiker Jarosław Sellin behauptete sogar, dass man genug Bernstein finden würde, um die gesamten Baukosten des Projekts zu decken – mehr als 200 Millionen Euro. Doch am Endes stellte sich heraus, dass die Bernsteinmengen deutlich kleiner sind und die Förderung in industriellem Maßstab an diesem Ort unrentabel ist.
Die privaten Bernsteinsucher lassen sich dadurch nicht entmutigen. Doch ihre Tage sind möglicherweise gezählt. Denn es kommen nicht nur immer mehr Glücksritter zur Baustelle, viele von ihnen werden auch immer dreister. Sie stürmen die Baustelle und scheren sich kaum um die Sicherheitsleute, die das zu verhindern versuchen. Mehrfach musste bereits die Polizei anrücken. Nun sollen die Beamten regelmäßig an der Baustelle patrouillieren.
Doch selbst wenn die Staatsmacht den Bernsteinsuchern auf der Kanalbaustelle bald das Handwerk legen sollte, wird der Bernsteinrausch damit nicht vorbei sein. Illegale Bernsteinförderung hat auf der Frischen Nehrung Tradition – auch wenn es jenseits des Bauplatzes mehr Aufwand erfordert. Die Forstverwaltung auf der dicht bewaldeten Nehrung kämpft seit langem gegen illegale Förderung, die immer wieder den Baumbestand in Mitleidenschaft zieht.
Wie wird Bernstein gewonnen? Bernstein kann, ähnlich wie Braunkohle bei uns in Deutschland, im Tagebau gewonnen werden. Diese Methode wird vor allem in der russischen Enklave Kaliningrad genutzt, die nahe Elbląg an Polen grenzt. Eine weitere Methode: Unter die Erde wird Wasser gepumpt. Durch den aufgebauten Druck wird Erdreich mit Bernsteinklumpen nach oben gespült. Diese Methode nutzen auch manche illegalen Bernsteinsucher in den Wäldern der Frischen Nehrung. Außerdem kann sich Bernstein im Erdreich befinden, das bei Kanalbauarbeiten und Fahrrinnenvertiefung am Meeresgrund ausgehoben wird.
Wo gibt es die größten Bernsteinvorkommen der Welt? Die größten Bernsteinvorkommen der Welt befinden sich im Kaliningrader Gebiet, einer russischen Enklave, die im Nordosten an Polen grenzt. Dort vermutet man etwa 300.000 Tonnen Bernstein, also 80 Prozent der weltweiten Vorkommen. Die dortige Lagerstätte wird Schätzungen zufolge noch für 90 Jahre reichen. Dieser "Baltische Bernstein" wird in kleineren Mengen aber auch in weiteren Anreinerstaaten der Ostsee gefunden, darunter Polen. Die zweitgrößten Bernsteinvorkommen befinden sich in der Dominikanischen Republik. Bedeutende Bernsteinmengen lagern auch in der Ukraine. Auch in Mitteldeutschland gibt es, wenn auch kleine, Bernsteinvorkommen, vor allem am Grund des Goitzschesees bei Bitterfeld.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 01. März 2019 | 17:45 Uhr