Mädchen mit Großvater am Tablet-PC
Im höheren Alter noch neue Dinge zu lernen, ist ohnehin empfehlenswert für die geistige Frische. Und wie eine Studie aus Schweden zeigt, können das auch Menschen mit Demenz. Bildrechte: IMAGO / Westend61

Demenz Auch Demenzkranke können Neues lernen

09. August 2023, 14:17 Uhr

Demenz ist nicht automatisch das Ende des Lernens. Zu diesem Schluss kommt ein schwedischer Forscher, der beobachtete, wie sich demente Menschen nahezu eigenständig den Umgang mit moderner Technik aneigneten.

Bei Forschungen zur Demenz geht es sehr oft darum, wie man den Verlust des kognitiven Vermögens aufhalten oder zumindest verlangsamen kann. Nur selten wurde sich aber mit der Frage beschäftigt, ob neben diesem Verlust auch einen Zugewinn neuer kognitiver Fähigkeiten möglich ist.

Der schwedische Forscher Elias Ingebrand hat sich nun in seiner Doktorarbeit mit genau diesem Thema befasst und sagt: Ja, auch Demenzkranke lernen noch Neues, sind dabei auf weniger fremde Hilfe angewiesen als man vermuten könnte - und sie unterstützen sich beim "Lernen" sogar gegenseitig.

Zum ersten Mal im Leben ein Tablet in der Hand

Finger über Tablet-Computer
"Jetzt muss ich hier drauf drücken, und dann hier drauf..."
Mit der Zeit geht auch demenzkranken Menschen die Bedienung eines Tablets in Fleisch und Blut über, beobachtete Elias Ingebrand.
Bildrechte: IMAGO / Eckhard Stengel

Elias Ingebrand führte seine Studie mit zehn bis zu 96 Jahre alten Menschen durch, die an verschiedenen Formen von Demenz litten. Acht der zehn lebten in Pflegeeinrichtungen. Keiner der zehn hatte je zuvor einen Tablet-Computer bedient, aber genau das war nun die Aufgabe, wobei keinerlei konkrete Teilschritte vorgegeben wurden.

Zwar war anfangs immer jemand vom Pflegepersonal oder eine nahestehende Person zur Unterstützung dabei, aber die einzige Anweisung an die Teilnehmer war, das Tablet so zu benutzen, wie sie es wollten. Dabei stellte sich gleich zu Beginn heraus, dass das Gerät sie neugierig machte. "Das hat mich ziemlich überrascht", sagt Elias Ingebrand. "Ich hätte vielleicht erwartet, dass das Tablet einfach nur daliegt und sie über etwas anderes reden würden, aber wir haben gesehen, dass sie ihre Aufmerksamkeit auf das Gerät richteten."

Obwohl die Teilnehmer unter starken Gedächtnisverlusten litten, lernten sie während der vier bis sechs Wochen dauernden Beobachtungsstudie allmählich, das Tablet selbstständiger zu benutzen. Elias Ingebrand vermutet, dass sich der Körper an die erforderlichen Bewegungen erinnert, selbst wenn die Fähigkeit, darüber zu sprechen, verloren gegangen ist. Voraussetzung sei aber, das Interesse der Person zu wecken.

Sportergebnisse und Mediathek

Als konkrete Beispiele werden in der Doktorarbeit eine Frau und ein Mann genannt, die es im Laufe der Zeit selbstständig schafften, das Tablet zum Mittelpunkt ihres jeweiligen Interesses werden zu lassen.

Die Frau, eine frühere aktive Orientierungsläuferin, nutzte das Tablet, um Sportergebnisse zu finden. Und der Mann, der in seiner Pflegeeinrichtung als unruhig und aggressiv galt, lernte, wie man zur Mediathek von SVT gelangt, dem schwedischen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender. Nach einer Weile bemerkten die Mitarbeiter, dass er lange Zeit ruhig und konzentriert das Programm verfolgte. Das war eine Seite an ihm, die sie vorher nie gesehen hatten.

Demenzkranke helfen sich gegenseitig

Forscher Elias Ingebrand war überrascht, dass Menschen mit Demenz die Funktionsweise eines Tablets auch ohne Hilfe von Mitarbeitern oder Angehörigen lösen konnten, indem sie zusammenarbeiteten und voneinander lernten. Auch dabei gelang es ihnen, sich auf die anstehende Aufgabe zu konzentrieren.

"Meine Arbeit hat Auswirkungen darauf, wie wir mit Menschen mit Demenz umgehen", sagt Ingebrand. "Sie sind nicht als Kinder zu behandeln, sondern als Menschen, die noch einen Willen und einen Anreiz haben, etwas zu tun. Letztendlich geht es darum, dass sie die Möglichkeit bekommen, an sinnvollen Aktivitäten teilzunehmen, die auf ihren eigenen Interessen und Wünschen beruhen."

Auch wenn es in seiner Studie nur um Tablet-Computer ging, glaubt Elias Ingebrand, dass die Ergebnisse auf andere Formen des Lernens übertragen werden können. "Das Recht auf lebenslanges Lernen sollte für jeden Menschen gelten", sagt er. Wichtig sei nur, dass man auch die Chance dazu bekommt.

Links/Studien

Die Studie "Dementia and learning: The use of tablet computers in joint activities" wurde an der Universität Linköping (Schweden) veröffentlicht.

(rr)

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